Rezension

Alles still auf einmal | Rhiannon Navin

17. Juni 2019
Alles still auf einmal

Inhalt

Zach versteckt sich mit seinen Klassenkameraden und der Lehrerin im Wandschrank, wo es heiß, stickig und eng ist. Draußen sind zahlreiche Schüsse zu hören und Zach ahnt, dass diese PLOP-Geräusche nichts Gutes zu bedeuten haben. Als er schließlich von der Polizei gerettet wird, ist nichts mehr wie es vorher war, denn Zachs Bruder Andy hat den Amoklauf nicht überlebt. Jedes Familienmitglied versucht mit der Trauer anders umzugehen und doch droht sie an diesem schrecklichen Verlust zunehmend zu zerbrechen. Der kleine Zach ist es schließlich, der wieder Hoffnung in die Leben der Menschen bringt, die er liebt.

Erster Satz

Wenn ich mich später an den Tag erinnerte, als der Amokläufer kam, dachte ich immer zuerst an den Atem meiner Lehrerin Miss Russell.

Eigene Meinung

„Alles still auf einmal“ gehört zweifelsohne zu den Büchern, die mich dieses Jahr am meisten berührt haben, und wird auch darüber hinaus einen Platz im Regal meiner absoluten Lieblingsbücher finden. Es bedurfte nur weniger Worte dieses einfühlsamen Schreibstils, der gerade wegen der besonderen Erzählperspektive unter die Haut und mitten ins Herz geht, und schon hat mich die eindringliche, aufwühlende Geschichte in ihren Bann gezogen.

Erzählt wird sie aus der Sicht des sechsjährigen Zach, der den Amoklauf im Wandschrank des Klassenzimmers hautnah miterlebt und bei dem schrecklichen Unglück nicht nur seinen älteren Bruder Andy, sondern auch ein stückweit seine kindliche Unbeschwertheit verliert. Auf einmal sieht er sich mit einem Strudel an unterschiedlichen für ihn teils unerklärlichen Gefühlen konfrontiert und muss auf schmerzhafte Art und Weise lernen was Verlust, Zurückweisung und Einsamkeit bedeuten.

Während der Vater sich in seine Arbeit flüchtet, um den andauernden lautstarken Auseinandersetzungen mit seiner Frau zu entgehen, die nach ihrem Zusammenbruch nur noch darauf fixiert ist die Eltern des Amokschützen für dessen Taten zur Rechenschaft zu ziehen, zieht Zach sich in sein Geheimversteck in Andys Schrank zurück. Es ist der Ort, an dem er sich seinem Bruder Andy, der ihn zeitlebens häufig schlecht behandelt hat, am nächsten fühlt, wo er ihm sagen kann, was er wirklich über die durchwegs positiven Worte auf der Beerdigung denkt, wo er ihm seine Lieblingsbuchreihe vorliest und wo er zunehmend realisiert, dass sich unter Andys Wutausbrüchen etwas ganz anders verbarg.

Gerade durch Zachs scharfe Beobachtungsgabe, die Wahrnehmung der leisester Stimmungsschwankungen seines Gegenübers, sein Herz aus Gold und seine kindlich ungefilterte Sichtweise auf die Ereignisse ist die Geschichte schmerzhaft traurig und aufwühlend. Denn als außenstehender Betrachter ist man frustrierend machtlos und kann nichts gegen die Ohnmacht des Vaters oder den Wahnsinn der Mutter unternehmen, die zunehmend für das Auseinanderbrechen der Familie sorgen und über ihre Trauer vollkommen vergessen, wie sehr ihr sechsjähriger Sohn seine Eltern braucht, denn auch er hat seinen Bruder verloren.

Fazit

„Alles still auf einmal“ erzählt die unglaublich aufwühlende und noch lange nachhallende Geschichte einer Familie, die nach dem schrecklichen Todes ihres ältesten Sohns bei einem Amoklauf versucht mit der Trauer umzugehen und mit ihrem Leben weiterzumachen. Gerade durch den Verzicht auf unnötig brutale Szenen und das Fokussieren auf die Gefühle und Gedanken des sechsjährigen Zach gewinnt diese Erzählung an ergreifender Eindringlichkeit und unnachahmlicher Intensität – eines meiner absoluten Lesehighlights 2019.


ALLES STILL AUF EINMAL

Autorin: Rhiannon Navin
Originaltitel: Only Child
Übersetzung: Britta Mümmler
Seitenzahl: 384
Erschienen: 18.04.2019
Verlag: dtv
ISBN: 978-3-423-26217-0
Preis: 15,90 €


Herzlichen Dank an den dtv Verlag für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Kathiduck

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