Rezension

Amnestie | Aravind Adiga

18. Oktober 2020
Amnestie

Inhalt

Da ihm der Status als Flüchtling in Australien verwehrt wurde, wohnt der Sri Lanker Danny Rajaratnam als Illegaler im Lagerraum eines Supermarktes in Sydney und hält sich seit drei Jahren als Putzkraft über Wasser. Er führt ein beinahe normales Leben mit regelmäßigem Einkommen und einer liebenswürdigen Freundin, doch als er vom Tod einer seiner ehemaligen Kundinnen erfährt, gerät der mühsam aufgebaute Schein ins Wanken. Denn Details vom Tatort wecken in ihm den Verdacht, der Liebhaber von Radha Thomas könnte etwas mit dem Mord zu tun haben. Das eigenwillige Paar hatte stets die Angewohnheit Danny als Glücksbringer auf ihren Rendezvous und Streifzügen durch die Nacht mitzunehmen. Obwohl sich Dannys Zweifel mit jedem Anruf des mutmaßlichen Täters verstärken, zögert er die Polizei zu informieren, da er als illegaler Einwanderer auf eine abgelegene Insel vor Australien und anschließend zurück nach Sri Lanka deportiert werden würde.

Erster Satz

Die gesamte Küstenlinie von Sri Lanka ist gewellt, geheimnisvoll und wunderbar – aber kein Ort ist geheimnisvoller als Batticaloa.

Eigene Meinung

Das Thema der Migration war selten so aktuell wie in der heutigen Zeit und doch vergisst man über die medial berichteten Flüchtlingströme die bereits seit Jahrzehnten bestehende Problematik der fehlenden Rechtsstaatlichkeit und teils menschenunwürdigen Lebensbedingungen im ozeanischen Raum. Aravind Adiga wagt mit „Amnestie“ in Gestalt des hochintelligenten ursprünglich aus Sri Lanka stammenden Danny Rajaratnam einen scharfzüngigen, pointierten Einblick in die begrenzten Möglichkeiten und ständigen Herausforderungen illegaler Einwanderer in Australien.

Mit Sensibilität und einem sezierenden Blick versucht sich Danny als Semiotiker, der die Zeichen seiner Lebenswelt in unterschiedliche Kategorien einteilt.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Kai Spanke

Danny selbst bezeichnet sich mit dem Staubsauger auf dem Rücken als Astronaut, die anderen Migranten sehen ihn als braunen Mann, seine Kunden nennen ihn den Legendären Putzmann, während Radha Thomas ihm zu Lebzeiten den Spitznamen Nelson Mandela verpasste. Doch selbst seine goldenen Aussie-Strähnchen, die nahezu akzentfreie Sprache sowie seine eingehende Analyse des typisch australischen Verhaltens können nicht darüber hinwegtäuschen, dass er jederzeit auffliegen und deportiert werden kann.

Es ist gleichermaßen erschreckend wir frustrierend zu verfolgen, wie solch ein vielseitig interessierter, weltgewandter und intelligenter junger Mann aufgrund seines Status als Illegaler infolge der strengen gesetzlichen Einwanderungskriterien seiner Zukunftsaussichten beraubt wird. Sprachlich herausragend findet man sich in einem Sammelsurium aus idyllisch schönen wie schmerzlich harten Erinnerungen an Dannys Vergangenheit in Sri Lanka, seinen ersten Geh- und schnellen Anpassungsversuchen in Australien und seinem jetzigen moralischen Dilemma zwischen Gerechtigkeit und Abschiebung wider. Obgleich mir bei seinen zwischenzeitlich arg ausschweifenden Gedankengängen teils die Spannung zu kurz kam, konnte man Dannys inneren Zwiespalt sehr gut nachvollziehen – mit einem Bein in Australien, mit dem anderen bereits in Sri Lanka.

Fazit

„Amnestie“ ist ein eindringlicher Roman von aktueller Dringlichkeit über illegale Einwanderung, moralische Dilemmata und ungleiche Machtverhältnisse durchsetzt von sprachlicher Weisheit.


AMNESTIE

Autor: Aravind Adiga
Originaltitel: Amnesty
Übersetzung: Ulrike Wasel & Klaus Timmermann
Seitenzahl: 286
Erschienen: 17.09.2020
Verlag: C.H. Beck
ISBN: 978-3-406-75551-4
Preis: 24,00 €


Herzlichen Dank an den C.H. Beck Verlag für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Kathiduck

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2 Comments

  • Reply Sandra Falke 22. Oktober 2020 at 11:04

    Klingt wie ein vielfältiges Leseerlebnis! Akute gesellschaftliche Themen wie solche finde ich auch sehr wichtig, im Lesepensum regelmäßig einzubetten und hervorzuheben, Kompliment auch dafür 🙂

    • Reply Lesendes Federvieh 22. Oktober 2020 at 13:36

      Liebe Sandra,
      herzlichen Dank für dein Kompliment, das bedeutet mir viel! Wie du schön sagst, ist es wichtig, solche Themen in die Leseroutine einzubauen, um den eigenen Horizont zu erweitern und offen für die Probleme der Welt zu sein. 😀

      Herzliche Grüße,
      Kathi

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