Rezension

Brunnenstraße | Andrea Sawatzki

17. Juni 2022
Brunnenstraße

Inhalt

Als Andrea Sawatzki mit ihrer Mutter zu ihrem Vater ins bayerische Baldham zieht, glauben beide endlich eine richtige Familie zu sein. Doch viel Zeit bleibt ihnen nicht. Denn bei Günther Sawatzki verstärkt sich seine Vergesslichkeit immer mehr und bald ist er auf Hilfe angewiesen. Auf die der kleinen Andrea und ihrer Mutter.

Erster Satz

Ich habe es versucht.

Eigene Meinung

Es ist unglaublich, was Andrea Sawatzki in ihrer Kindheit für eine Herkulesaufgabe gestemmt hat. Es ist schon für Erwachsene eine enorm schwierige Aufgabe einen an Alzheimer erkrankten Angehörigen zu betreuen und zu pflegen, was das für ein Kind bedeutet, beschreibt Andrea Sawatzki in ihrem Buch. Ungeschönt und grenzenlos ehrlich schildert sie das Drama in ihrer Kindheit. Neben den Anforderungen in der Schule und ohne Urlaub machen zu können und wieder Kräfte zu tanken, ging es über Jahre hinweg nur um ihren erkrankten Vater. Wie es ihr dabei erging, spielte keine Rolle.

Man muss sich dabei immer vor Augen halten, sie war ein achtjähriges Kind, dem dies alles aufgebürdet wurde. Dieses kräftezehrende ständige Hin- und Her zwischen Zuneigung, alles richtig machen zu wollen und auch Wut nahm von Seite zu Seite an Intensität zu. An manchen Stellen musste ich das Buch zuklappen, so heftig war das Geschriebene. Ich konnte mit eine Pause gönnen, das kleine, liebenswerte Mädchen nicht. Ich finde es absolut bewundernswert, wie sie diese Aufgabe geschafft hat.

Das Buch ist keine leichte Kost, denn es handelt von der stetigen Überforderung eines Kindes über einen Zeitraum vom achten bis zum fünfzehnten Lebensjahr (!) und es ist wirklich bewundernswert wie sie bedingungslos zu ihrer Mutter und auch zu ihrem Vater gehalten hat. Allein mit ihrer Mutter abwechselnd einen Alzheimerpatienten zu betreuen, verlangt Stärke und Kraft um das stemmen zu können. Zumal, so wie ich das lese, die beiden von niemandem Hilfe bekamen. Besonders bewegt hat mich in diesem Zusammenhang eine Begebenheit als der Vater bereits tot war und Andrea versuchte ein normales Teenagerleben zu führen.

Sie erfuhr von den Feiern immer nur von den Nachbarn. Plötzlich gab es sie doch.

Andrea Sawatzki: Brunnenstraße (S. 167)

Das haben sie also gehört, alles andere nicht. Denn dann hätte man ja helfen müssen. Ich hoffe, diese Kultur des Wegsehens hat sich inzwischen ein bisschen gebessert.


BRUNNENSTRASSE

Autorin: Andrea Sawatzki
Seitenzahl: 192
Erschienen: 24.02.2022
Verlag: Piper
ISBN: 978-3-492-07053-9
Preis: 20,00 €


Herzlichen Dank an den Piper Verlag für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Zwerghuhn

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2 Comments

  • Reply Livia 5. Juli 2022 at 13:18

    Hallo liebes Zwerghuhn

    Das Buch habe ich mir auch schon näher angesehen und vorgemerkt, ich denke aber, dass ich aktuell nicht so offen bin für solch schwere Lektüren. Aber irgendwann kommt eine Zeit dafür.

    Alles Liebe
    Livia

    • Reply Lesendes Federvieh 9. Juli 2022 at 12:40

      Liebe Livia,

      für das Buch sollte man wirklich in der richtigen Stimmung sein – soweit man das überhaupt sagen kann – denn Andrea Sawatzkis autofiktionale Erzählung ist keine leichte Kost, wenn auch sehr lesenswert!

      Allerliebste Grüße,
      Angelika

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