Rezension

Der Mann, der Sherlock Holmes tötete | Graham Moore

26. Mai 2019
Der Mann, der Sherlock Holmes tötete

Inhalt

Arthur Conan Doyle, dessen Feder der unnachahmliche Meisterdetektiv Sherlock Holmes entstammt, tritt in die Fußstapfen seiner Romanfigur, als er einem Briefbombenattentat zum Opfer fällt und Scotland Yard keine Anstalten macht sich seines Falles oder dem eines ermordeten augenscheinlich leichten Mädchens anzunehmen. Auf der Suche nach dem Mörder streift er mit seinem guten Freund Bram Stoker durch die spärlich beleuchteten Straßen des viktorianischen Londons und landet an Orten, die eines Gentlemans unter normalen Umständen nicht würdig sind. Knapp hundert Jahre später ist ein junger Sherlock-Holmes-Fan als Amateurermittler in einen Mordfall verstrickt, der sich um Doyles verschwundenes Tagebuch und einige Fälle seines berühmten Detektivs entspinnt.

Erster Satz

Arthur Conan Doyles Stirn lag in steilen Falten.

Eigene Meinung

Selten gelingt es einem Schriftsteller, solch einen Mythos um eine seiner Figuren zu schaffen, der über hundert Jahre später noch immer anhält und alte wie neue Leser begeistert. Sir Arthur Conan Doyle ist genau dieses Kunststück geglückt, als er seinem Meisterdetektiv Sherlock Holmes 1886 Leben eingehaucht und ihn zahlreiche spektakuläre Fälle hat lösen lassen.

Was jedoch die Wenigsten wissen ist, dass Doyle gegen seine eigens erschaffene Figur zunehmend Abneigung entwickelte. Auf dem Gipfel seines Hasses ließ er Holmes in den Tod stürzen ließ, um endlich als der Schriftsteller gesehen zu werden, der er abseits der Sherlock-Holmes-Geschichten ist. Dennoch ließ Arthur Conan Doyle seinen Detektiv einige Jahre später widerauferstehen und bis heute ist der Grund dafür nicht ganz klar. Zeitlebens hat er sämtliche seiner Gedanken in seinen Tagebüchern festgehalten, wo nun ausgerechnet dasjenige fehlt, in dessen Zeitraum die Veröffentlichung neuer Holmes Romane fällt.

Genau an diesem Punkt setzt der überaus fesselnde Kriminalroman „Der Mann, der Sherlock Holmes tötete“ an, in welchem Graham Moore jenem Mysterium eindrucksvoll auf die Spur zu kommen versucht. In zwei parallel verlaufenden Erzählsträngen, verfolgt man zum einen im Jahre 2010 den jungen Sherlockianer Harold White, der nach der Ermordung eines hochrangigen Mitglieds der Irregulars, einer Vereinigung, die sich ganz der Analyse des Sherlock Holmes’schen Kanons verschrieben hat, begleitet von der Journalistin Sarah Ermittlungen zu dem Ermordeten und dem angeblich aufgetauchten Tagebuch aufnimmt.

Zum anderen heftet sich Arthur Conan Doyle knapp hundert Jahre zuvor an die Fersen eines mutmaßliche Serienkillers, der das Leben zweier augenscheinlich leichten Frauen auf dem Gewissen hat. Dabei fungiert sein guter Freund Bram Stoker, der Autor von „Dracula“, als sein Watson, der seine Abneigung gegen diese Rolle treffend und amüsant folgendermaßen auf den Punkt bringt: 

Watson ist ein billig erkaufter, rein auf den Effekt gemünzter kleiner Pisser von einem literarischen Hilfsmittel. Holmes braucht ihn zur Lösung seiner Kriminalfälle ungefähr so dringend wie eine Fußfessel aus Pflastersteinen. Es sind die Leser, Arthur. Nur die Leser brauchen Watson als Mittler, damit sich Holmes‘ Gedankengänge ein für alle Mal ihrem Zugriff entziehen.

Moore, Graham: Der Mann, der Sherlock Holmes tötete (S. 114).

Dieser Auszug der inhaltlich genial auf den Punkt gebrachten Aussage Stokers ist genau das, was mir an dieser Geschichte so gut gefällt. Es handelt sich um keinen warmen Aufguss eines Kriminalromans à la Sherlock Holmes, in welchem zwei Männer dessen Fähigkeiten nachahmen zu versuchen. Vielmehr ist es neben zwei spannenden Kriminalfällen eine intelligente, moderne Analyse und Ergründung des großen Mysteriums, das den Detektiv umgibt.

Dabei lernt man einiges über die Magie der mysteriösen, romantischen Viktorianischen Ära, die Bedeutung der Holmes-Geschichten für die damaligen wie heutigen Leser aber natürlich auch über den Mann, der Sherlock Holmes tötete und ihn einige Jahre später nach einschneidenden Erlebnissen von den Toten zurückzuholen: Dr. Arthur Conan Doyle.

Diese zeitweise beinahe schon Romanbiografie handelt von einem düsteren, bis dato unbekannten Kapitel in der Lebensgeschichte des Autors, der in Holmes zeitlebens seinen größten Rivalen um Ruhm und Anerkennung sah. Geschickt werden dabei tatsächlich belegbare Ereignisse, real existierende Personen, Anhaltspunkte aus schriftlichen Überlieferungen sowie reine Fiktion miteinander verwoben und liefern dadurch eine mögliche Erklärung auf die große Frage „Warum wird Sherlock ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt wieder zum Leben erweckt?“

Fazit

Wer sich abseits zweier fesselnder Kriminalfälle zusätzlich für die vielen Facetten des Erfinders des bekanntesten Detektivs der Weltliteratur, Sir Arthur Conan Doyle interessiert, ist mit „Der Mann, der Sherlock Holmes tötete“ genau richtig bedient. Neben lebendigen, charakterstarken Figuren und einem spannenden Sherlock-Holmes-würdigen Plot punktet dieser Roman mit seinen intelligenten Literaturanalysen des Mysteriums, das sich seit mehr als hundert Jahre um einen Mann rankt.


DER MANN, DER SHERLOCK HOLMES TÖTETE

Autor: Graham Moore
Originaltitel: The Sherlockian
Übersetzung: Kirsten Riesselmann
Seitenzahl: 480
Erschienen: 28.02.2019
Verlag: Eichborn
ISBN: 978-3-8479-0038-2
Preis: 22,00 €


Herzlichen Dank an den Bastei Lübbe Verlag für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Kathiduck

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2 Comments

  • Reply Sinah 2. Juni 2019 at 19:27

    Halloo 🙂
    Ich hatte das Buch vor einer Weile erst in der Hand, war mir dann aber echt unsicher ob es was für mich ist. Da kam mir deine Rezension gerade sehr gelegen 🙂 Ich glaube, ich werde mir die Leseprobe mal genauer anschauen. Sherlock Holmes ist eigentlich immer gut! 😛

    Alles Liebe,
    Sinah

    • Reply Lesendes Federvieh 2. Juni 2019 at 20:57

      Hallo liebe Sinah,

      es freut mich, dass ich dir in deiner Entscheidung vielleicht ein kleines bisschen weiterhelfen konnte. 🙂 Ich als Sherlock Holmes Fan kann dir nur sagen: Mein innerer Kriminalist ist hier vollkommen auf seinen Geschmack gekommen. Das Buch lag bei mir einen Monat auf dem SuB und ich habe schon befürchtet, dass ich für diesen historisch angehauchten Roman länger brauchen werde, aber da habe ich mich getäuscht. Innerhalb kürzester Zeit bin ich vollkommen in das Viktorianische Zeitalter abgetaucht, mit Arthur Conan Doyle durch die dunklen, verwinkelten Straßen geschlichen und in der "Gegenwart" bin ich den Gedankengängen Harolds nicht minder gefesselt gefolgt. 😀

      Lange Rede, kurzer Sinn: Lies das Buch! 😛

      Ganz liebe Grüße,
      Kathi

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