Rezension

Gestapelte Frauen | Patrícia Melo

28. Oktober 2021
Gestapelte Frauen

Inhalt

Amir ist gutaussehend, charmant und eloquent, die gemeinsamen Nächte im lebhaften São Paulo sind berauschend, die Unterhaltungen lebhaft – kurzum: Er ist der perfekte Partner. Doch als er sie auf einer Party ohrfeigt und beleidigt, zerplatzt der Traum jäh und die junge Anwältin nimmt eine Stelle im entlegenen Cruzeiro do Sul an, um so weit wie möglich von ihm entfernt zu sein. Dort nimmt sie für ihre Kanzlei als Beobachterin an Gerichtsverhandlungen zu brutalen Frauenmorden teil und kommt den Leben der Opfer, den Töchtern, Müttern und Freundinnen immer näher. Je mehr sie sich mit den Femiziden beschäftigt, desto eindringlicher verfolgen sie die Bilder aus ihrer Kindheit und dem Tod ihrer Mutter.

Ausdrückliche Triggerwarnung: Femizide, Gewalt gegenüber Frauen

Erster Satz

GETÖTET VOM EHEMANN – Elaine Figueiredo Lacerda, einundsechzig, wurde an einem Sonntag spätnachmittags an ihrer Haustür erschossen.

Eigene Meinung

Lange fehlten mir zu diesem Buch die Worte. Zu stark war die Abscheu vor der willkürlichen launengetriggerten Brutalität gegenüber Frauen. Zu intensiv hallte die sprachliche Dichte nach, die das Leid von Txupira, Elaine, Fernanda und all den anderen Wehrlosen schmerzhaft spürbar werden lässt. Aber vor allem ruft die Achtung vor diesem mutigen Stück Literatur inklusive der damit verbundenen tiefschürfenden Recherche in die Abgründe der Männlichkeit bei mir große Bewunderung begleitet von hemmender Ehrfurcht hervor.

Egal, wo du bist. Egal, welcher gesellschaftlichen Schicht du angehörst. Egal, welchen Beruf du hast. Es ist gefährlich, eine Frau zu sein.

Patrícia Melo: Gestapelte Frauen (S. 79)

Wie kann ich diesem Text in seiner aufrüttelnden Andersartigkeit getragen von schonungsloser Poesie gerecht werden? Vermutlich gar nicht. Dennoch soll meine doch mehr persistierende als passagere Sprachlosigkeit nicht dafür sorgen, dass euch dieses wichtige Buch entgeht, das viel zu selten Erwähnung findet.

Patrícia Melo (großartig übersetzt von Barbara Mesquita) kontrastiert abscheulich bildgewaltige Szenen von Femiziden mit lachhaft lascher Rechtssprechung gegenüber den Tätern, sodass die Abstrusität und Perversion der Gesellschaft nahezu grotesk ins Auge springen. Wie wummernde Paukenschläge verstärken die kurzen, schlagzeilenartig eingestreuten Einzelschicksale den pulsierenden, sprachgewaltigen Kern der Geschichte, die in ihrer ungefilterten Explizität noch sehr lange nachhallen wird.

Wir Frauen sterben wie die Fliegen. (…) Und vor Gericht behaupten alle, wir trügen die Schuld.

Patrícia Melo: Gestapelte Frauen (S. 76)

Obgleich mir die traumwandlerischen Sequenzen ein wenig zu schräg waren, so spiegeln sie doch die Zerstörung des Urwaldes und der Vertreibung der indigenen Völker eindrucksvoll wider – denn der Amazonas ist wie ein Frauenkörper, der ausgelöscht wird.

Fazit

„Gestapelte Frauen“ ist harte Kost und tut schmerzhaft weh, denn es führt einem die eigene Wehr- und Machtlosigkeit gegenüber der willkürlichen männlichen Brutalität vor Augen. Allerdings bedient Patrícia Melo sich dabei keiner voyeuristischen Gewaltklischees, sondern verleiht den tragischen Schicksalen Namen und Stimmen, die von zarter Poesie getragen werden und noch lange nach Beendigung der Lektüre nachklingen.


GESTAPELTE FRAUEN

Autorin: Patrícia Melo
Originaltitel: Mulheres Empilhadas
Übersetzung: Barbara Mesquita
Seitenzahl: 256
Erschienen: 15.02.2021
Verlag: Unionsverlag
ISBN: 978-3-293-00568-6
Preis: 22,00 €


Herzlichen Dank an den Unionsverlag für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Kathiduck

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