Rezension

Im Schatten des Turms | René Anour

19. März 2020
Im Schatten des Turms

Inhalt

Wien, 1787: Der Narrenturm, in dem Mediziner erstmals versuchen den Irrsinn zu heilen, übt auf den Medizinstudenten Alfred eine starke Faszination aus. Allerdings sind die dortigen Zustände mitleiderregend und besonders der Anblick einer jungen Patientin mit ungewöhnlichen Brandmalen auf den Armen lässt den angehenden Mediziner nicht los. Zur gleichen Zeit genießt die junge Adelige Helene unter der schützenden Hand ihres Vaters die große Ausnahme sich als Frau mit den Naturwissenschaften anstelle des höfischen Geplänkels zu beschäftigen. Doch er kann sie nicht ewig von der Schlangengrube Schönbrunn und den Intrigen bei Hofe fernhalten. Die Schicksale der beiden Menschen, deren Herkunft unterschiedlicher nicht sein könnte, sind miteinander verbunden und werden sich im Schatten des Turms entscheiden.

Erster Satz

Blut strömte über seine Finger und tropfte auf die Erde.

Eigene Meinung

Selten hat mich ein Buch so in den Bann gezogen wie „Im Schatten des Turms“, das definitiv jetzt schon eines meiner Jahreshighlights ist. Was zunächst wie eine lockere Romanze zwischen einer nach Freiheit strebenden Adeligen und einem fleißigen Studenten von niederem Stand anmutete, entpuppte sich zusehends als großartige Erzählung von weltgeschichtlichem Ausmaße, die ich förmlich inhaliert habe.

Besonders beeindruckt hat mich dabei das thematische Facettenreichtum der Geschichte. Die erste psychiatrische Heilanstalt im Wiener Narrenturm samt der dortigen fragwürdigen Behandlungsmethoden findet genauso Anklang wie die offenkundigen Unterschiede zwischen den Ständen zur Zeit der Regentschaft von Kaiser Joseph II., die in eindrucksvollen wie abschreckenden Szenen deutlich werden. Gleichermaßen bewegt man sich auf den Tanzflächen der prunkvollen Ballsäle bei Hofe nebst der Absurditäten des Adels und verfolgt die bis an die Front der osmanischen Kriege reichenden Intrigen der Mächtigen.

Zum vollendeten Lesegenuss tragen auch die vielschichtigen Haupt- wie Nebencharaktere bei, die der Geschichte mit ihren Eigenheiten und vor allem ihrer Echtheit Leben einhauchen. Zum einen ist das die wissbegierige Adelstochter Helene, die dem goldenen Käfig des Schlosses mitsamt der Ungerechtigkeiten zwischen den Ständen entfliehen möchte, zum anderen gibt es Alfred. Der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Medizinstudent ist harte Arbeit sowie die Niedertracht der Wohlgeborenen gewohnt und besitzt obendrein einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, der ihn ein ums andere Mal in Schwierigkeiten bringt. Beider unterschiedlicher Lebenswege sind spannend zu verfolgen, vor allem nachdem sie aufeinanderprallen und sich ihre Schicksale unwiderruflich miteinander verflechten. Doch auch Charaktere wie die gewiefte Zofe Gertraud, der undurchsichtige Graf Walsegg, die Jägersmänner Piruwetz und der Major oder gar die intrigante Gräfin sind unglaublich gut gelungen und verleihen der Erzählung ihren besonderen Glanz.

Fazit

Ein wahres Juwel unter den historischen Romanen: „Im Schatten des Turms“ beeindruckt mit ausdrucksstarken Charakteren vor fundierter Kulisse, greift Themen wie den ersten Wiener Narrenturm sowie die Türkenkriege auf und erzählt eine großartige Geschichte zwischen Armut und Reichtum.


IM SCHATTEN DES TURMS

Autor: René Anour
Seitenzahl: 656
Erschienen: 15.10.2019
Verlag: Rowohlt
ISBN: 978-3-499-27670-5
Preis: 13,00 €


Herzlichen Dank an den Rowohlt Verlag für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Kathiduck

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