Rezension

Mädchen, Frau etc. | Bernardine Evaristo

20. März 2021
Mädchen, Frau, etc.

Inhalt

Bernardine Evaristo erzählt in ihrem Roman „Mädchen, Frau, etc.“ von zwölf schwarzen Frauen, deren Lebensgeschichten nicht unterschiedlicher sein könnten. Sieht man jedoch genauer hin, ergibt sich ein Kaleidoskop unserer gesellschaftlichen Entwicklungen. Wie etwa bei Amma. Sie steht mit ihrer ersten Inszenierung am Londoner National Theatre kurz vor dem Durchbruch. In diesem Stück beleuchtet sie ihre Identität als schwarze, lesbische Frau. Ihre Jugendfreundin Shirley hat längst alle Illusionen verloren, als Lehrerin im unterbezahlten englischen Schulsystem etwas zu bewirken. Bei Carole, ihrer ehemaligen Schülerin fruchteten ihre Bemühungen jedoch, denn heute ist sie eine erfolgreiche Investmentbankerin. Drei von zwölf Lebensentwürfen, die es in diesem Buch zu entdecken gilt…

Erster Satz

Amma geht an der Promenade des Wasserlaufs entlang, der ihre Stadt zerteilt, frühmorgendliche Frachtkähne ziehen langsam vorbei.

Eigene Meinung

Welch beeindruckendes Buch! Bernardine Evaristo trifft genau den Zeitgeist, aktueller könnte ihr Themenspektrum nicht sein. Mühelos schafft sie es alle wichtigen Aspekte, wie Herkunft, Rassismus, Feminismus, Geschlechtsidentität und vieles mehr unterhaltsam zu Papier zu bringen. Sie sieht genau hin, schreibt pointiert und schonungslos offen über Dinge, die ins Rampenlicht gehören. Über Dinge, die es wert sind, dass verkrustete Gedanken und Verhaltensweisen aufgeweicht werden.

Auf unglaublich lockere Art erzählt sie aus dem Leben von zwölf schwarzen Frauen und nimmt den Leser mit ins multikulturelle London. Geschickt verbindet sie die Lebensgeschichten dieser so unterschiedlichen Frauen zu einem großartigen Gesellschaftsportät. Hierbei gibt sie jedem Lebensentwurf ausreichend Raum, um präzise und detailliert in die jeweilige Situation der Frauen einzutauchen. Sie erzählt dabei so flott, manchmal geradezu flapsig, wodurch sich eine Lebendigkeit entwickelt, die niemals auch nur den Hauch von Langeweile aufkommen lässt.

Gerade ihr unkonventioneller Schreibstil und ganz besonders ihr Mut auf Punktsetzung komplett zu verzichten, lässt die Erzählung so flott und flüssig fließen. Es entsteht ein mitreißender Lesefluss, der durch nichts aufgehalten wird. Es fühlt sich so an, als ob man auf einer grandiosen Welle über die Seiten surft, ich konnte und wollte mich diesem Erlebnis nicht entziehen.

Fazit

Bernardine Evaristo ist ein unglaublich facettenreiches Frauenporträt mit Tiefgang gelungen, welches ich innerhalb kürzester Zeit verschlungen habe. Von der ersten Seite an lief mein Kopfkino auf Hochtouren. Durch den unglaublich kraftvollen und bildgewaltigen Schreibstil fügte sich ein bunter Bilderreigen nach dem anderen aneinander. Die „Mädchen, Frauen, etc.“ wurden lebendig, sie bekamen ein Gesicht und wurden zu Freundinnen, für die man sich wirklich interessiert. Besser kann man ein Miteinander in unserer Welt, in der jede*r seinen Platz finden sollte, nicht beschreiben.


MÄDCHEN, FRAU ETC.

Autorin: Bernardine Evaristo
Originaltitel: Girl, Woman, Other
Übersetzung: Tanja Handels
Seitenzahl: 512
Erschienen: 23.01.2021
Verlag: Tropen
ISBN: 978-3-608-50484-2
Preis: 25,00 €


Herzlichen Dank an den Tropen Verlag für die freundliche Bereitstellung des digitalen Rezensionsexemplars via NetGalley!

Zwerghuhn

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4 Comments

  • Reply Livia 23. März 2021 at 22:44

    Wow, Zwerguhn

    Du bist gerade fleissig, ich komme mit dem Lesen und Kommentieren deiner Rezensionen kaum mehr hinterher 😉
    Du hast ja schon geschrieben, dass ich mir das Buch vormerken soll und das werde ich auf jeden Fall tun.

    Danke für die tolle Rezension und die Empfehlung
    Livia

    • Reply Lesendes Federvieh 27. März 2021 at 15:47

      Liebe Livia,

      ja im Augenblick bin ich ein richtiger Bücherwurm 🙂 Aber bei unserem fürchterlichen Wetter kann man ja kaum was anderes machen. 🙂

      Es freut mich, dass dir meine Rezi gefallen hat, das Buch landet auf jeden Fall in meiner Bestenliste 2021. 😀

      Viele Liebe Grüße
      Zwerghuhn

  • Reply sommerlese 27. März 2021 at 19:53

    Hallo Angelika,

    ich habe das Buch auch, komme aber nicht so recht voran. Durch die Schreibweise ohne Punkt kann ich den Geschichten gar nicht gut folgen. Wie gut, dass es kein Reziex war, so komme ich um eine abschließende Meinung herum. Aber vielleicht packt es mich doch noch.

    Ich wünsche dir noch ein schönes Wochenende, das Aprilwetter könnte aber mal aufhören.
    lg Barbara

    • Reply Lesendes Federvieh 1. April 2021 at 20:03

      Liebe Barbara,

      ich musste mich am Anfang auch an die Schreibweise gewöhnen. Da ich aber schon mal ein Buch (ich meine es war „Die Farbe von Milch“) gelesen habe, das fast ohne Satzzeichen auskam, hatte ich einen kleinen Trainingsvorteil. 🙂

      Ich schicke dir ein bisschen Sonne zu Ostern und ganz liebe Ostergrüße dazu 🐇
      Zwerghuhn

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