Inhalt
Mit dem Tod beider Elternteile innerhalb weniger Monate steht das Leben des 35-jährigen Erzählers still und dreht sich zugleich in rasanter Geschwindigkeit weiter. Denn inmitten des Trauer- und Abschiedsprozesses verlangen die Banalitäten des Alltages, wie Arbeit, Liebe und das Schreiben, seine Aufmerksamkeit. Christian Dittloff erinnert sich an das Trauerjahr mitsamt der erdrückenden Überforderung und der lähmenden Traurigkeit, aber auch der herzerwärmenden Momente voll Rührung, Witz und Lebensfreude.
Erster Satz
Ingrid schloss den Schirm, klopfte sich Schnee von Ärmeln und Schultern und richtete ihren Mantelkragen auf, als sie unter das Dach des S-Bahnhofs Bergedorf trat.
Eigene Meinung
Äußerst klug, feinfühlig und mit einem beeindruckenden Gespür für Details verwebt Christian Dittloff ehrlich und berührend Autobiografisches, lässt dabei reflektierende teils in ihrer schlichten analytischen Qualität wahnsinnig beeindruckenden Betrachtungen einfließen und sorgt trotz des traurigen Themas für ein warmes Gefühl der Geborgenheit.
Wenn es um den plötzlichen Tod geht, spricht man immer von Normalität, in die der Tod hereinbricht. Die schöne Alltäglichkeit betont die Gewalt des Unerwarteten.
Christian Dittloff: Niemehrzeit (S. 49)
In jeder Zeile steckt unglaublich viel Poesie, denn mit scheinbarer Leichtfüßigkeit gelingt es Christian die Gefühle seines Erzählers, der eine literarisierte Version seiner selbst ist, mittels ganz eigener Metaphern nachvollziehbar in Worte zu fassen. Indem er auch die aufbrausenden Momente, die Phasen der Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit nicht außen vor lässt, entsteht ein intensives, durchweg authentisches Portrait von Trauer in all ihren Facetten. Gleichzeitig zeigt er, dass es okay ist das Chaos an Emotionen zu fühlen und die eigene Stärke in der Verletzlichkeit zu finden.
Es erfordert Mut, die eigenen Gefühle derart offenzulegen, die eigene Geschichte mit der Welt zu teilen und das gleichzeitig in dieser melancholischen, wortgewandten und umarmender Form, wofür Christian meinen vollen Respekt hat. Ohne sich beifallsheischend in den Mittelpunkt zu drängen, erzählt er von den Erinnerungen an seine Eltern mitsamt ihrer Schwächen und nähert sich seiner eigenen Trauerbewältigung rückblickend semantisch wie literarisch an.
Fazit
Trauer hat kein Ablaufdatum, das definiert ab wann zuvor Alltägliches wieder in „normalen“ Bahnen verläuft. Trauer verläuft in Wellen, überrollt einen manchmal unvorbereitet mit der Intensität eines Tsunamis. Trauer wird nie ganz vergehen, aber irgendwann ein bisschen verblassen und ein Stückchen trägt Christian Dittloffs tieftrauriger, berührender, wundervoll poetischer aber auch Hoffnung spendender Roman „Niemehrzeit“ dazu bei.
NIEMEHRZEIT
Autor: Christian Dittloff
Seitenzahl: 224
Erschienen: 29.07.2021
Verlag: Berlin Verlag
ISBN: 978-3-8270-1433-7
Preis: 20,00 €
Herzlichen Dank an den Berlin Verlag für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars!
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