Rezension

So forsch, so furchtlos | Andrea Abreu

9. August 2022
So forsch, so furchtlos

Klappentext

Ein heißer Juni auf Teneriffa, hoch oben im Norden der Insel zwischen den Vulkanen, weit ab von den Touristen. Zwei junge Mädchen, beste Freundinnen, versuchen die Langweile zu bekämpfen. Sie wollen dünn bleiben, indem sie Süßigkeiten erbrechen; sie träumen von glänzenden BMWs, die sie an den Strand bringen, wo sie endlich das Meer genießen könnten, genau wie die Touristen, deren Ferienhäuser ihre Mütter putzen. Aber als aus dem Juni der Juli wird und der Juli in den August übergeht, verwandelt sich die schwelende Liebe der Erzählerin zu ihrer Freundin Isora in ein schmerzhaftes sexuelles Erwachen. Sie versucht, mit Isora Schritt zu halten, muss aber einsehen, dass das Erwachsenwerden ein Weg ist, den man allein gehen muss. (Quelle: Kiepenheuer & Witsch)

Erster Satz

Wie eine Katze.

Eigene Meinung

„So forsch, so furchtlos“ schlägt durch die Intensität dieser äußerst speziellen Coming-Of-Age Geschichte ein wie eine Bombe und spaltet die Gemüter mit der teils derbe-fäkal überfordernden Sprache, die einen engen Fokus auf Andrea Abreus Ich-Erzählerin erlaubt: Ungefiltert betrachtet man die Welt durch die Augen ihrer jungen Protagonistin „Shit“, die sich in einem öden, heißen Sommer auf Teneriffa fernab der touristischen Gebiete mit ihrer besten Freundin Isora den Tücken des Erwachsenwerdens zu stellen versucht. Beide stammen aus einfachen Verhältnissen mit komplizierten Familienkonstellationen und noch schwierigeren Beziehungen zu Gewalt, psychischer Gesundheit und sexueller Selbstbestimmung.

Ich fragte mich, woher sie so viele Dinge wusste, die ich nicht wusste, und dann wurde ich traurig, weil ich dachte, dass meine Traurigkeit gar nicht meine eigene war, dass ich ihre Traurigkeit spürte, bloß in meinem Körper, eine wie nachgemachte Traurigkeit, zwei verdoppelte Traurigkeiten, die falsche Hülle einer Traurigkeit, das war ich, weil ich keinen Grund hatte, traurig zu sein, und deswegen einen erfand.

Andrea Abreu: So forsch, so furchtlos (S. 95)

Schon von Beginn an wird das Ungleichgewicht dieser Mädchenfreundschaft in der Idealisierung Isoras durch die namenlose Ich-Erzählerin deutlich, die mit dem Einsetzen pubertärer Einflüsse eine neue Dynamik entwickelt. Dabei steht die äußere Ereignislosigkeit konträr zu den zunehmenden, innerlich brodelnden Konflikten zwischen Verbundenheit und Distanz sowie Liebe und Anziehung, die sich ähnlich des vielbeschriebenen Motivs des Volkans mit einem lauten, alles darunter begrabenden Ausbruchs zu entladen drohen.

Sind die Meinungen noch so verschieden, in einem Punkt sind wir uns alle einig: Andrea Abreus poetisch-gewaltiger Stil (grandios übersetzt von Christiane Quandt) steht der heruntergekommenen Auffälligkeit des Covers in nichts nach. Manche mögen es als herbe-derbe Kost beschreiben, da die vulgäre, in ihrer ungewohnten Explizität geradezu anstößige Sprache an der eigenen Toleranzgrenze rüttelt – meine eingeschlossen – doch zeigt dieses Romandebüt letztlich eines äußerst anschaulich: welch polarisierend aufrüttelndes wie außergewöhnliches erzählerisches Talent diese frische, mutige, spanische Stimme besitzt!


SO FORSCH, SO FURCHTLOS

Autorin: Andrea Abreu
Originaltitel: Panza de burro
Übersetzung: Christiane Quandt
Seitenzahl: 192
Erschienen: 07.07.2022
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-00175-4
Preis: 20,00 €


Herzlichen Dank an den Kiepenheuer & Witsch Verlag für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Kathiduck

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1 Comment

  • Reply Livia 16. September 2022 at 23:18

    Hallo liebe Kathi

    Das Buch steht auch schon auf meiner Wunschliste, die vielen begeisterten Rezensionen zum wohl ziemlich kontroversen Text haben mich schon neugierig gemacht und was du nun schreibst, macht mich einfach noch neugieriger und ich hoffe, dass dieses Buch bald bei mir einziehen darf.

    Alles Liebe an dich
    Livia

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