Lesung

Von Obduktionen, Computerfreaks und genialen Ideen – Jussi Adler-Olsen zu Gast in der Rechtsmedizin

14. Oktober 2019

Tatort: Sektionshörsaal des Instituts für Rechtsmedizin in München
Tatzeitpunkt: Sonntag, 13.10.2019, 20:00 Uhr
Tatwaffe: „Opfer 2117“
Tatverdächtige: WDR-Moderatorin Antje Deistler, Schauspieler Peter Lohmeyer und Krimiautor Jussi Adler-Olsen

Passend zur außergewöhnlichen Location, die dem ein oder anderen Gast wohl einen kalten Schauer über den Rücken laufen hat lassen, eröffnete der Rechtsmediziner Prof. Dr. med. Randolph Penning den Abend mit ein paar interessanten, teils auch etwas abschreckenden Details über seinen Berufsalltag.

Ein Rechtsmediziner klärt auf

Sage und schreibe 15.560 Leichen hatte er schon auf dem Sektionstisch, damit würde sich der Circus Krone sechsmal füllen lassen. Mit seiner herrlich trocken direkten Art brachte er das Publikum mehrmals zum entsetzen Aufkeuchen, als er beispielsweise stolz seine messerscharfen Arbeitswerkzeuge in unterschiedlichen Größen präsentierte. Die größten Irrtümer von Film und Fernsehen à la Bourne, die ihm die Haare zu Berge stehen lassen, durften dabei selbstredend auch nicht fehlen. So verwendet Agatha Christi die doch recht verschiedenen Begriffe würgen und erdrosseln fälschlicherweise permanent als Synonyme und Wasserleichen haben in den TV-Krimis die Lunge voll Wasser, obwohl in der Realität das Gegenteil der Fall ist.

Nach diesem amüsanten Opening war die Stimmung im Walter-Straub-Hörsaal sehr gelöst und somit bekamen die Stars des Abends, Jussi Adler-Olsen und Peter Lohmeyer begleitet von der WDR-Moderatorin Antje Deistler, einen donnernden Applaus, als sie die Szene betraten. Carl Valdemar Jussi Henry Adler-Olsen, wie er mit vollständigem Namen heißt, hat weltweit 16 Millionen Bücher verkauft, die bisher in 40 Sprachen übersetzt wurden. „Opfer 2117“ ist sein neuester Streich und zugleich der achte Fall für Carl Mørck, seinen Ermittler vom Sonderdezernat Q. Bevor es jedoch mit der eigentlichen Lesung losging, drängte sich eine Frage in den Vordergrund:

Jussi Adler-Olsen auf dem Seziertisch?!

Nur Inszenierung? Nein, das ist tatsächlich passiert! Adler-Olsens Vater ist Psychiater, weshalb der junge Jussi mit einem Freund im Alter von zehn Jahren heimlich auf dem Dach über ein Fenster seiner ersten Obduktion beiwohnte. Bei der Kraniotomie (Öffnung des Schädelknochens) wurde ihm zwar ein bisschen mulmig, aber das hielt die beiden neugierigen Jungen nicht davon ab, sich im Anschluss auf den leeren Sektionstisch zu legen. Später hat Jussi Adler-Olsen ebenfalls Medizin studiert, doch er war schon seit jeher ein vielfältig interessierter Charakter. All das und noch viel mehr sei in der 2018 erschienenen Biografie „Die vielen Leben des Jussi Adler-Olsen“ nachzulesen.

Eine weitere interessante Anekdote am Rande: Jussi Adler-Olsen setzt sich zu Beginn eines jeden Buches und auf den letzten Seiten einen grünen – seiner Meinung nach absolut scheußlichen – Hut seines Vaters auf den Kopf. Dieser sei ein sehr kluger Mann gewesen und er hoffe, dass die Klugheit dadurch ein wenig auf ihn abfärbe.

Tafel der Schande und Opfer 2117

Das Buch dieses Abends aber war „Opfer 2117“, der achte Fall für das Sonderdezernat Q, das sich mit landesweiten besonders schweren Verbrechen auseinandersetzt. Dieses Mal wurde an der Küste von Zypern eine tote Frau aus dem Orient angeschwemmt, die auf der „Tafel der Schande“ in Barcelona als Opfer 2117 erscheint. Dabei handelt es sich normalerweise um die Anzahl der im Meer ertrunkenen Flüchtlinge, doch die Frau ist ermordet worden. In Kopenhagen beschließt der 22-jährige Alexander Rache zu nehmen, nachdem das Bild durch die Medien ging. Er spielt sein Game „Kill Sublime“ bis Level 2117, dann will er wahllos zu morden beginnen. Das Sonderdezernat Q steht unter Zeitdruck, doch dann bricht Assad zusammen, als er das Bild der ihm wohlbekannten Toten zu Gesicht bekommt.

Was ungeheuer spannend klingt, hat einen ernsten Hintergrund. Die „Tafel der Schande“ am Strand von Barcelona gibt es tatsächlich. Adler-Olsen besucht die spanische Stadt jeden Winter und kam schließlich auf die Idee, einem der namenlosen Ziffern eine Geschichte zu geben. Allerdings hat er sich mit schlechtem Gewissen selbst dabei ertappen müssen, auf einen weiteren Anstieg der Todeszahlen zu warten bis die für die Erzählung richtige Nummer erreicht ist.

Noch Computerfreak oder schon Hikikomori?

Sehr interessant war auch das Phänomen, das hinter dem Begriff Hikikomori steckt, welches in Japan eine Million Menschen betrifft. Aufgrund des hohen Drucks in der leistungsorientierten Gesellschaft ziehen sich die zumeist sehr jungen Menschen alleine in einen Raum zurück und verbringen den ganzen Tag isoliert vor dem Computer. In besonders schlimmen Fällen schieben die Eltern laut Jussi Adler-Olsen nur Essen und einen Nachttopf in das Zimmer hinein.

Adler-Olsens Protagonist zeigt ähnliche Tendenzen, was Antje Deistler auf die Idee brachte, Jussi und Peter Lohmeyer zu fragen, ob es ihnen gelungen sei ihre Söhne von dem Computer wegzulocken. Die darauffolgenden höchst amüsanten Geschichten sorgten im Publikum für lautstarke Lacher. Denn während der eine körperlich zur Tat schritt, indem er den PC kurzerhand aus dem Fenster warf, ging der andere strategischer vor und stellte ein eigenes Auto in Aussicht.

Schreibprozess und geniale Idee

Im neuen Thriller spielt Assad eine tragende Rolle. Jussi Adler-Olsen hat den aus Syrien stammenden Charakter 2005 entworfen, doch zu dieser Zeit war in seinem Herkunftsland von Gewalt und Kämpfen keine Spur. Deshalb musste Jussi all seine Bücher nochmal lesen und sich Assads Aussagen rausschreiben, um den aufmerksamen Lesern keine widersprüchlichen Szenen zu liefern.

Mit Band acht nähert man sich nun zunehmend dem Ende von Carl Mørck und Dezernat Q, denn Jussi hat die Reihe von Beginn an für zehn Teile konzipiert und will auch weiterhin dabei bleiben. Besonders neugierig machte er das Publikum jedoch mit der Aussage, er hätte schon den perfekten letzten Satz. Eines Morgens sei er aufgewacht und hätte diese geniale Idee gehabt, die er trotz der charmanten Versuche der Moderatorin partout nicht preisgeben wollte.

Nach knapp eineinhalb Stunden war die grandiose Veranstaltung mit tollen Gästen samt herrlicher Anekdoten, fesselnder Leseabschnitte und vor allem einer perfekt durch den Abend führenden Moderatorin leider viel zu schnell vorbei. Darüber hinaus hat Jussi-Adler Olsen sich mit augenscheinlichem großen Vergnügen Zeit für seine Leser genommen, Bücher signiert und die Wartezeit mit seiner charmanten Art überbrückt.

Herzlichen Dank für diesen tollen Abend, Jussi Adler-Olsen, Peter Lohmeyer, Antje Deistler und natürlich Danke Krimifestival München für die Organisation!


„Opfer 2117“ ist seit dem 10.10.2019 im dtv Verlag erhältlich.

Kathiduck

You Might Also Like

No Comments

Leave a Reply