Rezension

Die Unvollständige | Valerie Bäuerlein

21. August 2023
Die Unvollständige

Wenn ich dir dies schreibe, weiß ich selbst nicht, wieso ich es tue, mir ist indes, als sei ich tatsächlich, wie du es antizipiert hattest, zu einer Schauspielerin geworden, einer ohne Skript und ohne Rolle, die nun ziellos durch ihr eigenes Leben wandelt und versucht, an etwas anzuknüpfen, eine Geschichte zu finden, die es wert ist, erzählt zu werden, die sie selbst betrifft.

Valerie Bäuerlein: Die Unvollständige (S. 80f.)

Eigene Meinung

Ausgehend von einer einnehmenden wie ungewöhnlichen Initialszenerie – dem Suizid unmittelbar nach der Rückkehr von einer langen Reise – entfaltet Valerie Bäuerlein in ihrem Debütroman eine introspektive, elliptisch angehauchte und äußerst sprachgewaltige Erzählung über Entfremdung, die Diskrepanz von Erinnerungen und die Macht von Kunst.

Auf zwei Erzählsträngen begleiten wir einerseits die namenlose Ich-Erzählerin und Regisseurin, die durch Berlin mäandert, dabei versucht ihre eigene Vergangenheit aufzuarbeiten und sich zugleich eine Mitschuld am Tod Talas gibt, ist sie doch diejenige, die ihrer beider Potenzial nicht ausgeschöpft hat. Andererseits gibt es die eingestreuten Briefe der verstorbenen Schauspielerin Tala, die darin die Beobachtungen ihrer Reise ausgehend von Berlin über Russland nach Asien schildert. Neben der beeindruckenden Präzision sowie Tiefgründigkeit ihrer Beschreibungen ist es die umgekehrt chronologische Reihung, die hervorsticht und für einen besonderen Twist sorgt.

Dabei korreliert die Tiefe der Introspektion mit der Länge der Sätze, was zunächst fordert, doch sobald man sich auf deren ganz eigene Sprachmelodie und Raffinesse einlässt, entfaltet sich eine einnehmende Analyse der intrinsischen wie extrinsischen Unruhen unserer Zeit. Angesiedelt in der cineastischen Welt ist es geradezu, als würde man die Streifen einer Filmrolle betrachten, um diese beliebig vorzuspulen. Szenen der Gegenwart werden unterbrochen von Blicken in die nationalsozialistische Vergangenheit, abgelöst von Beschreibungen über die Ankunft von Talas Vater als griechischer Gastarbeiter oder die Flucht ihrer Mutter vor Irans Diktatur.

„Die Unvollständige“ ist eine feine literarische Perle von einem Debüt!


DIE UNVOLLSTÄNDIGE

Autorin: Valerie Bäuerlein
Seitenzahl: 160
Erschienen: 21.08.2023
Verlag: Kjona
ISBN: 978-3-910372-13-9
Preis: 22,00 €


Herzlichen Dank an den Kjona Verlag für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Kathiduck

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