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Sichergeglaubte Favoriten sind raus! Shortlist überrascht mit einer bunten Mischung

19. September 2020
Shortlist Deutscher Buchpreis 2020
© vntr.media

Obwohl natürlich jeder stets seine eigenen heimlichen Favoriten im Kopf hat, so waren sich viele dennoch darin einig, „Allegro Pastell“ und „Die Unschärfe der Welt“ auf der Liste zu finden – wir inklusive. Deshalb war das Staunen in der Buchwelt recht groß, als die Shortlist des deutschen Buchpreises am Dienstag verkündet wurde. 😮

Aus 20 werden 6 – Die Shortlist

Falls ihr Genaueres zum Deutschen Buchpreis inklusive Ablauf, Nominierten und Preisgeldern erfahren möchtet, schaut gerne bei unserem Beitrag zur Longlist vorbei, den ihr hier findet.

206 eingesandte Titel waren es ursprünglich, woraus die Jury 20 besonders vielversprechende Werke auswählte. Nun hatten sie abermals die Qual der Wahl zwischen großartigen Geschichten zu entscheiden und die Auswahl auf sechs Bücher zu reduzieren, was mitunter lediglich eine Frage des Geschmacks war.

Gelesen haben wir von diesen sechs Titeln tatsächlich noch keinen, deshalb waren wir natürlich besonders neugierig auf die jeweiligen Begründungen der Jury. Diese möchten wir euch nun kommentarlos vorstellen, um sie unbeeinflusst wirken zu lassen. 😊

Bov Berg: Serpentinen

Ein Vater macht sich mit seinem Sohn auf die Reise, nicht nur in die hügelige Landschaft seiner Kindheit, sondern auch in die eigene bedrückende Familiengeschichte und in die deutsche Vergangenheit. „Serpentinen“ erzählt tief soziologisch und gleichzeitig sehr literarisch von beklemmender Düsternis – und tut es oft mit überraschendem Witz. In diesem Roman sitzt absolut jedes Wort an der richtigen Stelle und schafft es so, vom eigentlich Unaussprechlichen zu erzählen.

Kommentar der Jury

Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik

Der Ausgangspunkt des Romans von Dorothee Elmiger ist eine einfache Frage: Wo kommt eigentlich der Zucker her? In stark essayistischer Form, eher als Collage, fügt die Erzählerin ihre Nachforschungen zusammen. Die führen sie nicht nur in die Weltgeschichte, sondern auch in die Literaturgeschichte, weshalb es vorkommen kann, dass der Text in Haiti landet, einem der großen Zuckerexporteure, um dort auf Heinrich von Kleists Novelle “Die Verlobung in St. Domingo” zu stoßen. Mit dieser Methode zeigt sich, dass der Kolonialismus untrennbar mit der europäischen Geschichte verwoben ist und dass die Europäer*innen, wenn sie sich etwas anderes erzählen, nur die halbe Wahrheit kennen.

Kommentar der Jury

Thomas Hettche: Herzfaden

Leichthändig und elegant verwebt dieser Roman große Themen der Gegenwart und der deutschen Vergangenheit. Von einem verzauberten Dachboden aus führt er uns in die Welt der Holzmarionetten, in den Zweiten Weltkrieg, in die westdeutsche Nachkriegszeit, zum Verlust von Unschuld und dem Ende der Kindheit. Er handelt von der Fantasie und ihrer Rückeroberung – und Thomas Hettche gelingt dabei ein Stück Illusionskunst, die so spielerisch und melancholisch ist, wie jene, von der dieser Roman selbst so beeindruckend erzählt.

Kommentar der Jury

Deniz Ohde: Streulicht

Deniz Ohde schreibt mit bestechender Klarheit über einen Teil der Gesellschaft, der sonst viel zu selten zu Wort kommt. Es ist ein Text über ein (post-)migrantisches Arbeiterinnen-Milieu, ein Text über eine kleine Familie und ihren hoffnungsvollen Wunsch dazu zu gehören in einem Bildungs- und Leistungssystem, das sein Versprechen von Chancengleichheit nicht einhalten kann. Dabei lässt Ohde nicht nur eine Welt und ihre Akteurinnen plastisch werden, die sonst hinter den Türen zugerümpelter Mietwohnungen verborgen bleibt, sie schafft es auch, ganz ohne Klischees und didaktischen Zeigefinger auszukommen.

Kommentar der Jury

Anne Weber: Annette, ein Heldinnenepos

Anne Weber ist es gelungen, in der Form des Epos das reale Leben der 96-jährigen Anne Beaumanoir in ein grandioses Stück Literatur zu verwandeln. Mit feinem Humor erzählt sie von einer Frau, die mit aller Konsequenz bereit war, für ihr Ideal der Gerechtigkeit zu kämpfen. In meist ungereimten Versen, die einen fließenden Rhythmus entwickeln, verspielt und mit großem Feingefühl bereitet Anne Weber ihrer Heldin die Bühne. Gespannt folgen wir Annette von der Résistance bis in den algerischen Unabhängigkeitskrieg. Philosophisch, politisch und reflektiert stellt der Roman unaufdringlich den Bezug zur Gegenwart her. Eine wunderbare und überzeugende Hommage an eine außergewöhnliche Frau.

Kommentar der Jury

Christine Wunniche: Die Dame mit der bemalten Hand

„Die Dame mit der bemalten Hand“ erzählt Migration einmal andersherum. 1764 strandet der deutsche Forschungsreisende Carsten Niebuhr auf der indischen Insel Elephanta. Er leidet an Sumpffieber, wird aber von Einheimischen entdeckt und gesund gepflegt. „Die Dame mit der bemalten Hand“ ist ein luftiger Roman über die Neugier, das Reisen und über die frühwissenschaftliche Erkundung der Welt. Und ein Roman über die freundliche Aufnahme, die man mit etwas Glück in der Fremde erfahren kann. Das alles erzählt mit viel Schalk und schrägem Witz. Souverän und absolut verführerisch.

Kommentar der Jury
Shortlist Deutscher Buchpreis
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Termine des Buchpreises 2020 im Überblick:

04.02. Bekanntgabe der Jury und Beginn der Ausschreibung
23.03. Ende der Ausschreibung
18.08. Bekanntgabe der Longlist
15.09. Bekanntgabe der Shortlist
12.10. Preisverleihung


Wie es weitergeht

Als Nächstes wählt die siebenköpfige Jury unter der Leitung von Hanna Engelmeier aus den sechs Finalisten den Preisträger für den diesjährigen Buchpreis, welcher sich neben Ruhm und Ehre 25.000 Euro sichert. Aber auch die anderen Autoren, die es mit ihren Werken auf die Shortlist geschafft haben, gehen nicht leer aus, denn sie erhalten jeweils 2.500 Euro. Der Gewinner wird wie die Jahre zuvor pünktlich zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Kaisersaal des Frankfurter Römer verliehen, was heuer auf den 12. Oktober 2020 fällt.

Bis dahin heißt es Daumen drücken und weiter fleißig Shortlist Titel lesen. „Herzfaden“ und „Streulicht“ liegen schon bereit, aber auch „Annette, ein Heldinnenepos“ und Bov Bergs „Serpentinen“ wecken durchaus unsere Neugier gerade nach diesen wohlklingenden Begründungen. Außerdem haben wir die Longlist noch nicht ad acta gelegt, denn „1000 Serpentinen Angst“ und Charles Lewinskys „Der Halbbart“ wollen nach der positiven Resonanz ebenfalls bald gelesen werden. ☺


Welche der nominierten Bücher konnten euch besonders überzeugen und wen seht ihr als klaren Favoriten für den Titel? Oder wird es gar ein spannendes Kopf an Kopf Rennen? Wir sind gespannt auf eure Meinungen!

Vorfreudige Grüße,

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