Rezension

Archipel | Inger-Maria Mahlke

31. Dezember 2018
Archipel

Inhalt

Schauplatz des Geschehens ist die Insel Teneriffa, wo sich die Kolonialgeschichte und diejenige europäischer Diktaturen im 20. Jahrhundert in der Peripherie des Kontinents verdichten. Die Erzählung führt rückwärts durch ein Jahrhundert voller Umbrüche, Verwerfungen und familiärer Dramen. Im Zentrum stehen dabei drei Familien aus unterschiedlichen sozialen Klassen wie auch scheinbar unbedeutende Einzelpersonen, in denen die Geschichte Spaniens von 1919 bis heute Brüche und Wunden hinterlässt. 

Erster Satz

Es ist der 9. Juli 2015, vierzehn Uhr und zwei, drei kleinliche Minuten, in La Laguna, der alten Hauptstadt des Archipels, beträgt die Lufttemperatur 29,1 Grad, um siebzehn Uhr siebenundzwanzig wird sie mit 31,3 Grad ihr Tagesmaximum erreichen.

Eigene Meinung

In der Regel geht der Buchpreis ziemlich an mir vorbei, weil mich die nominierten Bücher inhaltlich nicht ansprechen. Deshalb war ich umso überraschter, als ich „Archipel“ auf der Longlist für mich entdeckt habe und ausgerechnet dieses Buch den begehrten Preis erhielt.

Neben dem Handlungsschauplatz Teneriffa, das auf der Liste meiner Urlaubsziele weit oben rangiert, hat es mir vorab besonders der Aufbau des Buches angetan. Denn dieser Familienroman wird rückwärts erzählt, was ich eine geniale Idee finde, sofern sie gut umgesetzt wird. Leider war genau das eines meiner vielen Probleme mit dieser Erzählung.

Hatte ich eine fesselnde Familiensaga erwartet, die in die historischen Ereignisse der Geschichte Teneriffas eingebettet ist, so wurde ich ziemlich enttäuscht. Anstelle einer zu erwartenden Geschichtsschreibung von oben, schildert der Erzähler vielmehr stichprobenartig Alltagsszenen einfacher wie wohlhabender Menschen im Verlaufe eines Jahrhunderts und lässt Themen sozialer Ungerechtigkeit anklingen, ohne sie jedoch expliziter auszuführen.

Manchmal verbirgt sich hinter der minimalistischen Sprache ein umfassendes, tiefergehendes Unrecht, meistens wirkt die Geschichte durch das andauernde Wechselspiel aus Erwähnen und Andeuten allerdings eher platt als mitreißend authentisch. Dabei hätte der telegrammartige Schreibstil grundlegend Potential, gleichwohl verkehren die teilnahmslose, beinahe schon gelangweilte Erzählstimme sowie das scheinbare Bestreben möchtegern anspruchsvolle Literatur zu verfassen, das Lesevergnügen ins Gegenteilige. Hinzu kommt das offenbar gewollte Fehlen einer stringenten Handlung, das durch einzelne, wirre, im Nichts verlaufende Erzählstränge kompensiert wird.

Die zahlreichen Protagonisten, die häufig ähnliche Namen tragen, sowie die vielzählig eingestreuten spanischen Ausdrücke tragen ihr übriges zum andauernden Versiegen des Leseflusses bei. Für das Verzeichnis der agierenden Personen blättert man nach vorne, für die Übersetzungen der spanischen Worte nach hinten.

Wenigstens sind die Charaktere selbst stellenweise interessant zu beobachten, da ihre Handlungen und Entscheidungen sich zumeist jeder Logik entziehen, wodurch es nahezu unmöglich wird ihre nächsten Schritte vorherzusehen.

Fazit

Obgleich „Archipel“ von der Jury des Deutschen Buchpreises für das herausragende schriftstellerische Schaffen mit dem ersten Platz honoriert wurde, konnte es mich nicht im Mindesten begeistern. Dabei hätten sowohl der spezielle, distanzierte Schreibstil als auch das rückwärtige Erzählen durchaus Potential, jedoch scheiterte deren Umsetzung in meinen Augen kläglich.


ARCHIPEL

Autorin: Inger-Maria Mahlke
Seitenzahl: 432
Erschienen: 21.08.2018
Verlag: Rowohlt
ISBN: 978-3-498-04224-0
Preis: 20,00 €


Herzlichen Dank an den Rowohlt Verlag für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Kathiduck

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