Rezension

hell/dunkel | Julia Rothenburg

25. Juni 2019
hell dunkel

Inhalt

Mit der Krankheit der Mutter kehrt auch Valeries zuvor scheinbar spurlos verschwundene Bruder Robert zurück und sitzt ähnlich einer Fata Morgana auf dem Sofa. Äußerlich könnten Valerie und Robert anders nicht sein, die mit den hellen blonden Haaren, er dunkel mit dem italienischen Erbgut des Vaters und doch müssen sich die beiden Halbgeschwister gemeinsam den drängenden Fragen stellen, wie es weitergeht. Wie geht man mit dem näherrückenden Abschied um? Während es der Mutter immer schlechter geht, versuchen Valerie und Robert einander Halt zu geben und die zwischen ihnen entstandene Distanz zu überwinden, doch die Nähe zwischen ihnen hat viele Gesichter, die von zärtlich und tröstlich bis hin zu wild und gefährlich reichen.

Erster Satz

So fühlen sich immer die ersten Schritte an.

Eigene Meinung

Mareike Fallwickls „Dunkelgrün fast schwarz“ hat mich mit der überraschenden Intensität und der sprachlichen Wortgewalt vollkommen umgehauen, weshalb ich auf der Leipziger Buchmesse einen genaueren Blick auf den Stand der Frankfurter Verlagsanstalt geworfen habe und prompt einen weiteren vielversprechenden Titel entdeckt habe: „hell/dunkel“ von der jungen Autorin Julia Rothenburg, in dessen Mittelpunkt das ungleiche Geschwisterpaar Valerie und Robert steht, das im Zuge des Sterbens ihrer Mutter versucht erneut zueinanderzufinden und das Ungeheuerliche zu verarbeiten.

Dabei wird die alles andere als perfekte Mutter-Tochter-Sohn-Beziehung mitsamt ihrer Schattenseiten eindringlich thematisiert, wie auch Valeries Gefühl des Alleingelassenwerdens als Robert auszog, das nun zwischen den beiden steht. Erzählt wird die Geschichte abwechselnd aus den Perspektiven der beiden Halbgeschwister, wobei auf jederlei Kennzeichnung der direkten Rede mittels Anführungsstriche verzichtet wird, was zunächst einen befremdlichen, seltsam distanzierten Eindruck erweckt, im weiteren Verlauf jedoch zu der starken Sogwirkung des Romans beiträgt.

Sie hell er dunkel, so werden Valerie und Robert von Außenstehenden beschrieben, was aufgrund ihrer Äußerlichkeiten infolge unterschiedlicher Väter womöglich zutreffen mag, innerlich jedoch ist das Verhältnis umgekehrt bis die beiden sich in ihrer Trauer ob des offensichtlich nahenden Todes ihrer Mutter zunehmend annähern, einander Halt geben und in ihrer ohnmachtsähnlichen Hilflosigkeit zugleich in tiefe Abgründe abrutschen.

Es ist ein sprachgewaltiger, intensiver Roman von Abschied, Trauer, Verzweiflung, dessen einziger Schönheitsfehler sich in einem Tabubruch zeigt, der in meinen Augen überflüssig war. Allerdings war diese Entgleisung zugleich jener Wendepunkt an dem ich entsetzt erkennen musste, wie sehr mich die fesselnde Geschichte in ihren Bann gezogen hat, wie sehr ich mich von der Sprache, den Gedanken der beiden und dem Sog aus tiefer Traurigkeit und Verzweiflung habe einlullen und hineinziehen lassen, sodass ich sogar begonnen habe ihre Taten zu verstehen und vor meinem inneren moralisch denkenden Ich zu rechtfertigen. Nur um darauf schockiert festzustellen, was ich da eigentlich gerade tat. 

Fazit

Doch genau wegen dieser aufrichtigen Darstellung der ungewöhnlichen Geschwister-Beziehung in der scharfkantigen Sprache mitsamt der zarten, tröstenden Momente und den wilden, verletzenden bis verstörenden Szenen ist diese Geschichte von Verzweiflung und Trauer so unfassbar authentisch, intensiv und bewegend.


HELL/DUNKEL

Autorin: Julia Rothenburg
Seitenzahl: 280
Erschienen: 07.03.2019
Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt
ISBN: 978-3-627-00259-6
Preis: 20,00 €


Herzlichen Dank an die Frankfurter Verlagsanstalt für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Kathiduck

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